Page 15 - Walter Andreas Kirchner - Album
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die Stunde der Marionetten, die im Zug der Schnüre luftige Kunstsprünge vortäuschen. Kirchner weist in
einer aufregenden Bilderreihe auf die bedrohliche Erstarrung einer übersättigten Gesellschaft hin, auf
den „Alltäglichen Wahnsinn“, dem wir uns zunehmend ausliefern. „Nur der Erste zählt“, heißt eines die-
ser Bilder, das, jenseits jeder sportlichen Fairness, den Sieger präsentiert. Die Welt braucht Sieger und ver-
herrlicht sie. Sie erfindet neue Verheißungen, und neue Träume werden vorsätzlich genährt. An den üppig
gedeckten Tafeln des Wohlstands aber kommt weder Freude noch genießerisches Wohlbefinden auf. Es ist
die Banalität des nach allen Richtungen hin abgesicherten (und zunehmend überwachten) Alltags, die
lähmt und ohne Erwartung in den kommenden Tag überleitet. Alles ist bereits gesagt, was zu sagen uner-
lässlich schien, und der Fernseher bietet die Wiederholung der Wiederholung an. Das Abendland leidet an
sich selbst.
Es ist die Entzauberung der Sättigung, die der Künstler sichtbar zu machen sich vorgenommen hat. Seine
kritische Auseinandersetzung mit unserer Gegenwart ist ein Warnschuss vor den Bug. Oder auch, weniger
emphatisch, ein Stolperstein gegen die Verniedlichung der Gegensätze, gegen die Trägheit des Willens und
die Willkür des Hungers. Nein – er erspart uns nicht den Blick auf die schier endlosen Züge der Kriegs-
und Armutsflüchtlinge, die sich in ein neues Gelobtes Land aufmachen und dort unerwünscht sind. Ihre