Page 16 - Walter Andreas Kirchner - Album
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Not stört und zwingt zugleich zu einer Solidarität, die noch keinen Namen hat und, wie zu befürchten ist,
auch keine Chance. Sie könnte die Herausforderung des neuen Jahrhunderts sein – eine grundsätzliche
Bewährungsprobe unserer Zivilisation und ihres globalen Auftrags gegen Willkür und Not in der Welt.
Spätestens hier hat Kirchner seine regionale Bindung überwunden. Der Verlust der Heimat im Banat
erfährt, ins Globale gesteigert, eine größere Verantwortlichkeit, die weder aufschiebbar noch auf andere
abzulasten ist. Es geht in seinem Spätwerk nicht um das Herausfiltern von Schuldfragen, sondern um das
Erkennen eines heraufdämmernden Notstands, der nicht kleinräumig aufzuhalten oder auszuräumen
möglich sein wird. Es mag nicht eine Aufgabe der Kunst sein, Lösungen zur Verhinderung gesellschaftlicher
Notlagen zu finden. Sie zeigt indessen wie es ist, und darf dabei durchaus auch parteiisch sein. Nur weg-
sehen sollte sie nicht wollen oder gar müssen. Kirchner, im Machtbereich des rumänischen Diktators Ce-
ausescu aufgewachsen, ist es so unbekannt nicht, wie die Kunst politisch instrumentalisiert werden kann
und sich dabei selbst preisgibt. Im Westen ist es zwar nicht die Partei, aber weitgehend der Markt, der be-
stimmt, was zur Zeit gerade Kunst ist. Der Markt ist offen für nahezu alle und alles und regelt weitgehend
das Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Er ist, launisch und verhandelbar, ein philosophischer
Bastard mit eigener Gesetzlichkeit. Seine Freiheit setzt immerhin auch die Freiheit des Anderen voraus.
Sie bindet aber verpflichtet nicht, und so ist der Markt immer auch an der Nahtstelle des Gegensätzlichen
zu finden.
Dort könnte auch Kirchners malerisches Werk anzusiedeln sein, obwohl es eher intuitiv angelegt ist als
programmatisch zugeordnet. Es ist die drängende Unbedingtheit des gestalterischen Willens, die den
schöpferischen Moment bestimmt und einen Aufschub der Ausführung nicht zulässt, und es sind die
unbewältigten Nöte und Verwirrungen des Alltäglichen, die dazu herausfordern. Fernab geblieben sind
die zur bäuerlichen Selbstfindung ausgeklügelten zaghaften Weisheiten der frühen Holzschnitte, ausge-
bleicht die klugen Allegorien im wechselnden Spot kleiner Verheißungen. Der Künstler findet an der Na-
gold nicht zu einer neuen Behaglichkeit, und er ist nicht auf der Suche nach einer solchen. Sein Zeitalter ist
ohne Maß und ohne Götter und zunehmend in Frage gestellt von der Freisetzung unkontrollierbarer Ge-
walten. Dem selbstdiktierten Fortschritt verschrieben, ist indessen kaum etwas zu befürchten, was uns
wieder gefügig zu machen in der Lage sein könnte.
Dennoch lässt der Künstler in seinen sozialkritischen Darstellungen von Welt und Umwelt keine Zöger-
lichkeit aufkommen. Es ist nicht eine Zeit der Aufschübe, die er vorfindet, und so ist sein Gesamtwerk
unverkennbar gegen Gleichgültigkeit und Verharmlosung gerichtet. Er polarisiert nicht in der Zuschrei-
bung hausgemachter Missstände – gemeint sind wir alle. Ein Umdenken wird angemahnt, wobei er sich
nicht als Vorreiter sehen will, wohl aber als Betroffener und potentieller Mitverursacher. Sein Ansinnen ist
nicht das eines sich vor dem Herrn selbst entlastenden Pharisäers.
Dennoch, oder gerade deswegen, werden seine vorwiegend großformatigen sozialkritischen Bilder wohl
nur in Ausnahmefällen ihren Platz im behaglichen gutbürgerlichen Wohnzimmer finden. Sie nehmen
indessen in den Ausstellungssälen, Katalogen und Zeitschriften am allgemeinen Dialog zu aktuellen
Kunst- und Zeitfragen teil – an dem, was uns gesellschaftlich bewegt und wach hält. Kirchners Kunst will
mitverantwortlich sein für das Zeitbild, das wir gestalten und weiterreichen.Seine Kunst ist verkäuflich,
aber nicht käuflich. Walter Andreas Kirchner sieht sein künstlerisches Werk als lebensnahes Abbild seiner
Lebenszeit. Er malt was er sieht und nicht, was gelegentlich gewünscht oder diktiert wird. Er zeigt uns wie
wir nicht sein wollen, dramatisiert was wir klein zu reden uns bemühen, inszeniert die Verselbstständigung