Page 19 - Walter Andreas Kirchner - Album
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Er überfrachtet nicht, was er vorfindet und meint nicht erklären zu müssen, was mit Herz und Sinn zu er-
                fahren uns ins Leben mitgegeben worden ist. Er stellt die Natur als gegeben dar und klammert den Men-
                schen dabei weitgehend aus. Wo dieser spürbar wird, beginnen die Bedenklichkeiten. In seinem Bild „Un-
                durchdringlich“ stellt er dem Betrachter eine undurchlässig wirkende, abweisende Waldwand entgegen, und
                in seinem „Olivenhain“ verkümmern die Baumstrünke an sich selbst – und mit ihnen die alten Nützlich-
                keitserwartungen einer unzeitgemäß gewordenen Genügsamkeit. Kirchner tritt nicht frontal an gegen die
                erwerbstüchtigen Bauern und nicht gegen die gewinnorientierte Zersiedlung von Grünflächen. Es wird,
                weiß er, nicht die gerahmte Landschaft über dem Sofa sein, was ein Umdenken bewirkt. Er malt ein neues
                Bild dazu und dann eine weitere Landschaft, ohne es weder dem Kunstfreund noch der Kunstkritik
                gegenüber zu begründen. Denn nie war das Landschaftsmotiv dringlicher als heute, wo es nicht vorrangig
                dekorativ verwendet wird, sondern als ein grundsätzliches und nicht abweisbares gesellschaftspolitisches
                Anliegen gilt.

                Die große Anzahl von Landschaften und die erkennbare Leidenschaftlichkeit ihrer Ausführung könnten
                Kirchner, bei flüchtiger Betrachtung, vor allem als Landschaftsmaler ausweisen. Seine kreative Vielseitigkeit
                aber widerlegt schon an sich jede einengende Zuordnung. Die Vehemenz der Inspiration und ihrer künst-
                lerischen Umsetzung geschieht geradezu eruptiv und lässt dem Künstler kaum eine andere Wahl als die
                künstlerische Ausführung des nicht abweisbaren Motivs.

                Es ist weniger die lukrative Verlockung als ein heftiger Gestaltungsdrang, was ihn unermüdlich sein lässt
                und der Landschaftsmalerei ihre markante Stellung im Gesamtwerk zuweist.

                Kirchners Landschaften sind nicht die Wiedergabe des schönen Moments. Er gestaltet ihn. Eine genauere
                Ortsangabe ist, von Ausnahmefällen abgesehen, unerheblich.
                Es bedarf  nicht der Legitimation des Örtlichen – ausgestattet mit einem Tiefenblick für die elementaren
                Vorgänge in der Natur unterwirft sich der Künstler dem jeweiligen Ereignis. Alles, was geschieht, ist
                ausgestattet mit einem ursächlichen Sinn.

                Kirchner bevorzugt in der Ausführung seiner Landschaften – neben dem Aquarell – das Öl, und es
                entstehen dabei sowohl Studien und Szenerien froher Poesie wie überwältigende Darstellungen der
                enthemmten Elementargewalt. Er versagt sich nicht dem schönen Ausschnitt („Der Weg ins Tal“) oder
                der Farbenpracht des Oktobers („Herbstwald“). Es sind dann aber doch die ausbrechenden Urkräfte
                („Sturmbewegt“), die Himmel und Erde entflammen oder einfrieren („Bergrücken“), denen er sich nicht
                zu entziehen vermag. Es ist die Einsicht unserer Zuweisung im Gegenüber mit einer Weltordnung von
                universellem Ausmaß, die uns eher unter- als zuordnet.

                Auch hier scheint Kirchner ohne einen Schub an Monumentalität nicht auszukommen. Er greift  über den
                Rahmen hinaus („Spiegelungen“) und verzichtet, konturlos geworden, auf  jede einengende Abgrenzung.
                Was erkennbar bleiben will zersplittert („Bergrücken) im Sog der Elementargewalten oder schwingt
                („Schilf am Teich“) im Winde mit, als wäre das schon immer ein ureigenes Anliegen des Schwächeren ge-
                wesen. Denn alles und jedes will seine Rechtfertigung, selbst auf  die Gefahr hin, aus dem Boden
                herausgerissen zu werden als Mahnung oder auch nur aus Versehen?
                Es ist die vergebliche Auflehnung gegen die Urkraft, die Kirchner inszeniert, weil es nicht sein kann, dass ein
                Rohrhalm dem zunehmenden Wind nicht gehorcht. Es muss demnach nicht als ein Mangel an gesellschafts-
                politischer Standfestigkeit ausgelegt werden, wenn – im übertragenen Sinn – das Schilf den Schub weitergibt.
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