Page 20 - Walter Andreas Kirchner - Album
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Die Schöpfung, wissen wir, hat es so vorgesehen, und wir reden uns bis auf den heutigen Tag ein, dass es
                 nicht zu widerlegen sein wird.
                 Der Künstler beugt sich dieser Auslegung. Er deutet sie allerdings nicht aus und beabsichtigt auch keineswegs,
                 daraus einen vordergründig umweltschützerischen Zusammenhang zu konstruieren oder, zumindest, eine
                 allfällige Warnung vor selbst verursachten Naturkatastrophen anzubringen. Er zeigt unsere wunderbare
                 Erde im Blühen und in Aufruhr, mit Früchten überladen und im Zorn. Sie braucht ihre Ausbrüche und
                 verwahrt, im Kern verborgen, die zerstörende Glut. Sie ist nicht für unser Wohlergehen verantwortlich
                 und nicht für das schmelzende Polareis. Sie dreht sich und kreist nach ihrem Gesetz, und nichts von dem,
                 was uns bewegt, wirft sie aus der Bahn.

                 Kirchner, in einem Banater Dorf  am Ufer der ungebändigten Marosch aufgewachsen, ist diese Unmittel-
                 barkeit geläufig, und es mag diese erlebte magische Nähe sein, die eine Schlüsselfunktion in seinem künst-
                 lerischen Werk ausübt, das sich nicht belehrend übernimmt. Denn unser Platz in der Welt ist zunehmend
                 fraglicher geworden, seitdem wir drauf und dran sind, uns die Erde nach dem Bibelwort tatsächlich unter-
                 tan zu machen. Das Problem sind dabei ausschließlich wir selbst, denn die „anderen“, auf  die wir entlas-
                 tend hinweisen könnten, gibt es nicht. Hier mag der Schnittpunkt in Kirchners bildnerischem Werk zu su-
                 chen sein. Öle, Aquarelle, Holzschnitte, Stiche und Zeichnungen können diesem Grundgedanken zuge-
                 ordnet werden. Er will entschlüsseln und dabei nicht die Augen verschließen vor dem, was wir nicht sehen
                 wollen. Er war nie ein Auftragskünstler, und so blieb seine Kunst weitgehend singulär. Das differenziert
                 und verlagert auch schon mal den Blickpunkt. Ernst Jünger und seine hundert Jahre Welterfahrung sind
                 ihm heute vordringlicher als die historische donauschwäbische Leitfigur Adam Müller-Guttenbrunn. „Sol-
                 che großen Frager“, bekennt Kirchner, „sind wichtig, auch wenn sie Behauptungen aufstellen, die sich in
                 einigen Jahren schon nicht mehr als gültig erweisen.
                 Ich muss diese Fragen nicht bejahen. Sie müssen aber gestellt werden. Was du heute denkst, ist morgen
                 schon nicht mehr gültig“, erfährt Kirchner und verweist auf  Hysterie und Manipulationen auch in der
                 Kunstszene. Sein Verhältnis zur Selektion des Marktes wird zunehmend abweisender. „Wenn mich ein
                 Thema beschäftigt, frage ich nicht, ob es zu veräußern sein wird.“ Er weiß, dass Anerkennung auch zu
                 hemmen vermag, wenn diese jeweils das bestätigt, was sich für den Tag günstig etikettieren lässt. Das mag
                 legitim sein – freier macht es die Kunst nicht.
                 Kirchner wurde mehrfach mit Preisen geehrt. Er stellte in Italien und Frankreich aus, in Bukarest, Riga
                 und anderen Metropolen. Arbeiten von ihm sind, neben Deutschland und Österreich, in den USA, in Spa-
                 nien und Rumänien verbreitet. Das ehrt und darf  als gängiges Kriterium zur Bewertung des künstleri-
                 schen Werks angeführt sein. Nicht selten aber wird dabei nur eine flüchtig aufgegriffene Sequenz in den
                 Vordergrund gerückt. Kirchners Gesamtwerk aber kennzeichnet nicht nur eine thematische Verlagerung
                 vom Heimatlichen ins Universelle, sondern ebenso eine ungewöhnliche gestalterische Vielseitigkeit als
                 Bildhauer, Maler und Grafiker. Sein Gesamtwerk ist überwölbt von einer visionären Sicht auf  die Gegen-
                 läufigkeit der Ereignisse und selbst der Dinge an sich. Was in seinen gesellschaftskritischen Kompositio-
                 nen unvermittelt aufbricht, findet in den Landschaften seinen emotionalen Widerhall. Eruptive Farbströme
                 überwuchern elementar die Bildfläche über die Konturen hinaus. „Dem Wesentlichen einer Landschaft
                 komme ich näher, wenn ich reduziere“, vermerkt Kirchner. Denn die Kunst muss nicht erklärt werden,
                 „sie interpretiert sich selbst“. Er überzeichnet bewusst und inszeniert – Haydns Paukenschlag anverwandt
                 – gegen den gepflegten Überdruss. Es ist ja nicht die Botschaft, die ausgeschöpft wäre – wir, so sieht es
                 der Künstler, sind für eine solche nicht genug empfänglich.
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